München, 30.06.2021. Wer neue Technologien entwickelt und in die Anwendung bringt trägt Verantwortung, soweit die Theorie. In der Praxis zeigt sich jedoch oftmals, dass Verantwortlichkeiten diffundieren. Das liegt nicht zuletzt an der wachsenden Komplexität und technischer, sozialer und ökologischer Zusammenhänge. In einem heute erschienenen Positionspapier zeigt acatech, was Unternehmen, Institutionen und Universitäten tun können, um zu einer „Kultur der Verantwortung“ in der Technikentwicklung beizutragen. Beginnend mit geeigneten Veranstaltungen in der Hochschullehre bis hin zu einem Ombudssystem in Unternehmen.
Verantwortung übernehmen heißt, für die Folgen einer Handlung einzustehen. Daraus ergeben sich essenzielle Grundfragen: Wer ist wofür wem gegenüber verantwortlich? Wissenschaftliche Entwicklungen können weitreichende Folgen haben, umso wichtiger ist ein Grundvertrauen der Gesellschaft gegenüber der Wissenschaft. Forscherinnen und Forscher, Ingenieurinnen und Ingenieure tragen nicht nur eine Verantwortung gegenüber ihren Arbeitgebern, Mitarbeitenden oder Nutzenden, sondern zugleich gegenüber dem Gemeinwohl und dem Schutz der Umwelt.
Einzelpersonen oder Gruppen die Verantwortung zuzuweisen ist daher nicht genug: acatech plädiert dafür Strukturen zu schaffen, die eine Kultur der Verantwortung auf allen Ebenen etablieren. Dabei geht es sowohl darum rechtliche und technische Standards einzuhalten als auch im eigenen Arbeitsalltag ethische Verantwortung für Technikentwicklungen zu übernehmen.
Dem Positionspapier liegen Gespräche mit Unternehmen zugrunde, unter anderem aus der Automobilindustrie, der Life-Science- und der IT-Branche. Darüber hinaus hat das Autorenteam Gespräche mit einer Wissenschaftsorganisation und Bundesämtern geführt. Bei vielen der Befragten ist die Verantwortungskultur ein wichtiges Thema. Während es bei Beamten das Remonstrationsrecht gibt – das heißt die Möglichkeit einer Anweisung von Vorgesetzen zu widersprechen - fehlen in der Privatwirtschaft Mechanismen dieser Art. Weiterhin stehen einer offenen Diskussionskultur in Unternehmen und Institutionen oftmals Loyalitätskonflikte, Karrierehemmnisse und Geschäftsgeheimnisse entgegen.
Strukturen schaffen und Handlungsoptionen bieten
Eine Ombudsstelle einzurichten oder eine Ombudsperson zu benennen, wo Beschäftigte Hinweise und Kritik auch anonym einreichen können, kann Unternehmen und Institutionen dabei helfen, solche Probleme zu überwinden. Ombudssysteme können die Zuschreibung von Verantwortung verdeutlichen und dazu beitragen, dass diese Verantwortung klar benannt und wahrgenommen wird.
Strukturen zu schaffen bedeutet auch Handlungsoptionen zu bieten, zum Beispiel durch Leitlinien, die beschreiben, wie ethische Standards konkret berücksichtigt und in das organisationsinterne alltägliche Handeln eingebunden werden können. Am besten gelingt dies Unternehmen, wenn sie ihre Mitarbeitenden von Beginn an daran beteiligen solche Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen.
Ethik und Technikfolgenabschätzung sollten ferner wichtige Komponenten technikwissenschaftlicher Studiengänge werden. In der Lehre vermittelte Normen erhöhen die Bereitschaft, in der Praxis Verantwortung zu übernehmen und stärken den kompetenten Umgang mit Fragen der Wertorientierung und der moralischen Beurteilung.
Verantwortung in der Akademie
acatech möchte als Deutsche Akademie der Technikwissenschaften die Diskussion um das Thema Technik- und Wissenschaftsverantwortung vorantreiben – nicht nur, aber auch in den eigenen Reihen, unter den eigenen Mitgliedern und Senatsunternehmen. Wichtige nächste Schritte wären hier:
- ein ethisches Leitbild zu formulieren – für die Akademie als Ganzes und für ihre Mitglieder
- Themen der Akademie nach Verantwortungsmaßstäben auszuwählen
- ein internes Ombudssystem einzurichten
- Verantwortungsfragen innerhalb der eigenen Themen zu identifizieren und zu berücksichtigen