In Deutschland werden die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der Corona-Pandemie Schritt für Schritt gelockert. Das hat Folgen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Viele kehren, zumindest tageweise, an ihre Arbeitsplätze zurück. Wie muss berufliche Mobilität in dieser Phase der Corona-Krise organisiert werden? Dazu haben wir Uwe Clausen, acatech Mitglied und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML, befragt. (Interview: Tim Frohwein)
Herr Clausen, nach den Lockerungen kehren immer mehr Beschäftigte, zumindest tageweise, in die Büros und Produktionsstätten zurück. Das bedeutet auch, dass wieder mehr Menschen im öffentlichen Raum unterwegs sind, um zur Arbeit zu gelangen. Wie kann dort sichergestellt werden, dass das Risiko einer Übertragung des Corona-Virus minimiert wird?
Wir befinden uns – nachdem die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Deutschland seit April sinkt – aktuell in einer Phase der wachsamen Normalität. Wachsamkeit ist daher auch auf dem Arbeitsweg angebracht. Sie dort an den Tag zu legen, liegt einerseits in der individuellen Verantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Andererseits müssen entsprechende Rahmenbedingungen und Vorkehrungen getroffen werden, damit in der beruflichen Mobilität zeitliche und räumliche Distanzierung möglich sind.
Völlig überfüllte U-Bahn-Wagons und Busse sollten aktuell vermieden werden. Wie kann das geschafft werden?
Die Bereitstellung von Echtzeit-Informationen und Prognosen zur Auslastung von Bussen und Bahnen, zum Beispiel durch Apps, würde sicherlich helfen. Bevor sie sich auf den Weg ins Büro bzw. nach Hause begeben, könnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so überprüfen, wie hoch das Fahrgastaufkommen gerade ist – und gegebenenfalls ihre Planung anpassen. Zusätzlich könnten dynamische Fahrgastanzeigen, die über die Auslastung der einzelnen Abteile informieren, dazu beitragen, dass sich die Menschen besser in den Zügen verteilen. Bei der Erfassung der Auslastungsdaten müssen natürlich die informationellen Selbstbestimmungsrechte der Fahrgäste gewahrt werden.
Durch erhöhte Zuschüsse für die Verkehrsunternehmen sollten diese in die Lage versetzt werden, die Kapazitäten und Taktfrequenzen im öffentlichen Verkehr auch bei geringer Auslastung hoch zu halten.
Je weniger Fahrgäste sich gemeinsam in einem engen Bahnwagon befinden, desto geringer das Risiko einer Tröpfcheninfektion oder einer Übertragung des Corona-Virus über Aerosole. Wie lässt sich das Risiko einer Schmierinfektion verringern, bei der ja Berührungen mit den Händen eine wichtige Rolle spielen?
Bezahlungen oder Buchungen, genauso wie das Betreten von Räumen und Verkehrsmitteln, sollten kontaktlos möglich sein. Das gilt ebenso beispielsweise für das Bedienen von Bedarfsampeln. Hier gibt es viele Möglichkeiten der Digitalisierung, die noch stärker auszuschöpfen sind.
Ganz generell sollten Oberflächen in öffentlichen oder gemeinsam genutzten Verkehrsmitteln – von Bahnen bis hin zu Carsharing-Fahrzeugen – häufiger als zuvor gereinigt werden. Die Deutsche Bahn AG hat bereits die Zahl ihrer „Unterwegsreiniger“ verdoppelt.
Verkehrsexperten befürchten, dass viele Beschäftigte, die vor der Corona-Krise den ÖPNV genutzt haben, nun mit dem Auto in die Arbeit fahren, weil sie eine Ansteckungsgefahr fürchten. Das würde die ohnehin schon verstopften Straßen in Großstädten und damit auch unsere Umwelt noch weiter belasten. Wie kann das verhindert werden?
Einerseits müssen sich Betreiber des öffentlichen Verkehrs der Herausforderung stellen, andererseits sollten Unternehmen genauso wie Städte noch weitere Anreize für mehr Radmobilität schaffen. Wir halten beispielsweise das Angebot von Fahrrad- und E-Bike-Flotten für die betriebliche Mobilität oder die Förderung von Dienstrad-Leasing für sinnvoll. Die steuerliche Begünstigung und Anschaffungskredite für E-Bikes können dazu Beiträge leisten.
In den Städten müssen zudem die Bedingungen verbessert werden, dass Radfahren auch sicher und bequem möglich ist. Dazu gehören breite Fahrradstreifen und sichere Aufstellflächen für Radfahrer an Kreuzungen. Einige Kommunen haben mit temporären Pop-Up-Bike-Lanes bereits gute Erfahrungen gemacht. Vermehrte Tempo-30-Zonen sowie eine zeitnahe und verpflichtende Einführung von Abbiegeassistenten – mindestens für Lkw und Busse, langfristig auch Pkw – werden für einen besseren Unfallschutz sorgen. Sichere und wettergeschützte Fahrradparkplätze an zentralen Verkehrsknotenpunkten machen außerdem multimodales Reisen attraktiv. Mit solchen und weiteren Maßnahmen ist wachsame berufliche Mobilität auch ohne eigenes Auto möglich.